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Der Patentstandort Deutschland im Umbruch – entspannt abwarten oder jetzt aktiv werden?

Knapp drei Viertel der am Bundespatentgericht (BPatG) anhängigen Nichtigkeitsklagen werden gegen europäische Patente mit Wirkung für Deutschland geführt. Mit Start des Einheitlichen Patentgerichts (EPG) und dem europäischen Einheitspatent wird sich das zukünftig ändern, werden doch die Streitigkeiten um Einheitspatente vor dem EPG ausgetragen – das war Konsens im Münchner Justizpalast. Nur in welchem Ausmaß, das divergierte deutlich je nach Perspektive.

Das Herbstsymposium des Bundesverbandes Deutscher Patentanwälte in Kooperation mit Bundespatentgericht und bayerischem Staatsministerium der Justiz wollte genau diese unterschiedlichen Sichtweisen und Bedürfnisse zusammenbringen und diskutieren, um das nationale Patentsystem nachhaltig für die Zukunft zu stärken. Immerhin ist Deutschland neben Großbritannien und den USA einer der drei führenden Standorte für Patentverletzungsverfahren weltweit. Und das, so war man sich in München einig, soll auch so bleiben. Doch die Konkurrenz des Einheitlichen Patentgerichts mischt die Karten neu.

Bei der Konkurrenzfähigkeit des deutschen Patentsystems gegenüber dem EPG ging es im Wesentlichen um die Frage, wie das deutsche Patentrecht und die deutsche Patentgerichtsbarkeit verbessert werden können bzw. verbessert werden müssen.

Für eine endgültige Bilanz zum Zweiten Patentmodernisierungsgesetz sei es noch zu früh, da war man sich seitens Patentanwaltschaft, Industrie, Richterschaft und Bundesjustizministerium einig. Auch der im Vorfeld sehr kontrovers diskutierte §139 bezüglich Unterlassungsanspruch und Verhältnismäßigkeit wurde mit einem „Abwarten“ etikettiert. Anders sah es bei der sechsmonatigen Hinweispflicht aus, die als Mittel zur Schließung des Injunction Gaps in das Gesetz aufgenommen worden war. Hier zeigte sich schnell, das es keine einfache Lösung gibt. Zwar hielte das BPatG derzeit im Großen und Ganzen den zeitlichen Rahmen ein, das ginge jedoch auf Kosten der Altfälle und sei dauerhaft mit der personellen Ausstattung nicht durchzuhalten. Und damit war man beim Kernthema seitens der Richterschaft: die mangelhafte personelle Ausstattung an den auf Patentrecht spezialisierten Gerichten.

Qualität versus Quantität?

von links: Ingrid Kopacek (BPatG), Peter Berg (Infineon Technologies), Dr. Christian A. Mohr (BDPA), Dr. Gunnar Baumgärtel (Maikowski & Ninnemann), Dr. Oliver Schön (LG München)

Das Bundespatentgericht fordert – trotz angespannter Haushaltslage – mehr technische Richterinnen und Richter. Das Landgericht München verweist nach dem Abgang vieler hochrangiger auf Patentrecht spezialisierter Richterinnen und Richter von den Landgerichten an das EPG darauf, das auch hier personell nachgebessert werden muss. Wieviele Richterstellen sind nötig, um das deutsche Trennungsprinzip verlässlich zu gestalten?

BDPA-Präsident Detlef von Ahsen gibt in diesem Zusammenhang zu bedenken,“ dass Fälle nicht einfach zwischen technischen Richtern verschoben werden können, wie ein Erbrechtsfall am Amtsgericht auch von einem Familienrichter bearbeitet werden kann. Ich werde als Maschinenbauer niemals vernünftig und mit hoher Qualität einen biotechnologischen oder einen Halbleiter-Fall bearbeiten können.“

Oder muss die Frage anders gestellt werden: Welchen Preis haben schnellere Nichtigkeitsverfahren am Bundespatentgericht? Ist man bereit, Kompromisse hinsichtlich der Qualität einzugehen?

Wie bleibt der Patentstandort Deutschland international konkurrenzfähig?  Diskutiert wurde in diesem Zusammenhang auch die Eintragung von deutschen Patenten in englischer Sprache, um den Zugang zum deutschen Patent in einer globalisierten Wirtschaft zu erleichtern.

Detlef von Ahsen sieht darin einen Schritt in die richtige Richtung: „Nur mit einer entsprechenden Anzahl deutscher Patentanmeldungen können auch nach Ablauf der siebenjährigen Übergangsfrist für das EPG genügend Fälle für das Bundespatentgericht und die Landgerichte nachkommen. Daher sollte der Zugang zum deutschen Patent so barrierefrei wie möglich gestaltet werden. Anmeldungen und Patenterteilung in englischer Sprache, ohne dass Übersetzungen angefertigt werden müssen, sind da ein zentraler Schritt. Den Umgang mit in englischer Sprache erteilten Patenten sind alle Beteiligten inzwischen aufgrund des Umgangs mit europäischen Patenten gewohnt.“

Wie kann das nationale Patentsystem gestärkt werden?

Vielleicht muss Deutschland auch grundsätzlich umdenken und ein neues System der Patentgerichtsbarkeit einführen, beispielsweise mit einem zentralen Verletzungsgericht wie beim neuen europäischen Patentsystem? Denn was passiert nach der siebenjährigen Übergangsfrist, während der klassische europäische Patente wie bisher vor nationalen Gerichten verhandelt werden können. Zur Erinnerung: Fast Dreiviertel der am BPatG anhängigen Nichtigkeitsklagen beziehen sich auf europäische Patente. Wenn die europäischen Fälle nach der Übergangsfrist an das EPG gehen, dann bleiben den nationalen Gerichten nationale Patente.

Es gilt also, die Strukturen für das nationale Patentsystem so weit zu optimieren, dass in sieben Jahren einerseits die deutsche Gerichtsbarkeit weiterhin funktionsfähig ist.

Dr. Regina Hock, Präsidentin BPatG, Detlev von Ahsen, Präsident BDPA

Andererseits darf das deutsche Patent nicht an Attraktivität verlieren. Da stellt sich die Frage nach dem strategischen Mehrwert – und den Kosten. Ein nationales Patentsystem, das vor dem Hintergrund einer immer schnelleren technischen Halbwertszeit von Innovationen kostengünstig und niedrigschwellig nutzbar ist, kann eine wirkliche Alternative darstellen. In dem Zusammenhang sollte auch das Gebrauchsmusterrecht entstaubt werden.

Der Bundesverband Deutscher Patentanwälte ist überzeugt, dass ein Abwarten jetzt fatal wäre. Vielmehr gilt es, rechtzeitig an den richtigen Schrauben zu drehen, damit das deutsche Patentsystem und damit der Patentstandort Deutschland auch in Zukunft zur Weltspitze gehört.