Der Bundesverband Deutscher Patentanwälte begrüßt grundsätzlich Initiativen zur Harmonisierung des Binnenmarktes und nimmt zu dem Vorschlag der Verordnung über die Vergabe von Zwangslizenzen für das Krisenmanagement (COM(2023) 224 final), nachfolgend nur VERORDNUNG genannt, wie folgt zu einzelnen Aspekten der VERORDNUNG Stellung:
Allgemeine Bemerkungen
Grundsätzlich ist das Rechtsinstitut der Zwangslizenz in den jeweiligen EU-Mitgliedstaaten dazu vorgesehen, es zu ermöglichen, das Ausschließungsrecht des Patentinhabers in bestimmten besonderen Situationen aufzubrechen. Derartige Situationen sind im Allgemeinen meist dann gegeben, wenn die Ausübung des Ausschließungsrechts zum Missbrauch wird, den technischen Fortschritt oder die wirtschaftliche Entwicklung in untragbarer Weise hemmt oder der Befriedigung wesentlicher sozialer Bedürfnisse entgegensteht.[1]
Betrachtet man das Recht an einem Patent oder ergänzendem Schutzzertifikat als ein Eigentumsrecht, so muss man sich im Zusammenhang der Zwangslizenz auch mit dem Begriff der Enteignung auseinandersetzen. Nach Völkergewohnheitsrecht ist eine Enteignung nur in eng gesetzten Grenzen rechtmäßig, sofern sie einen öffentlichen Zweck verfolgt, gemäß geltenden Regeln und Verfahren durchgeführt wurde, nicht diskriminierend erfolgte und eine Entschädigung gezahlt wurde[2].
Sofern kein Enteignungsausschlusstatbestand gegeben ist, ist zwischen der direkten und indirekten Enteignung zu differenzieren[3]. Aus heutiger IP-rechtlicher Sicht sind jedoch die indirekten Enteignungen praxisrelevant. Dies zeigt sich vor allem bei Sachverhalten, in denen der Staat Maßnahmen ergreift, um den Gesundheitsschutz seiner Bevölkerung zu verbessern. Eingriffe in das geistige Eigentum des Schutzrechtsinhabers dürfen jedoch grundsätzlich nur in engen, klar festgelegten Grenzen erfolgen. Derzeit wird das Verfahren zur Erteilung einer Zwangslizenz oder auch einer Benutzungsanordnung – mit Ausnahme der Verordnung (EG) Nr. 816/2006 – von den einzelnen EU-Ländern unabhängig voneinander geregelt. Ziel der vorliegenden Initiative ist es, die Effizienz durch ein Verfahren mit Wirkung für alle Mitgliedstaaten zu verbessern. Hierzu soll einerseits das derzeitige EU-Verfahren für die Zwangslizenzierung von Patenten für die Ausfuhr in Länder mit Problemen im Bereich der öffentlichen Gesundheit (Verordnung (EG) Nr. 816/2006) überarbeitet, und andererseits zugleich mit derselben Verordnung auch ein EU-Verfahren für die Zwangslizenzierung von Patenten in weiteren Krisen- oder Notfallsituationen, zum Beispiel einer „Chip-Krise“ gemäß Artikel 18 des Vorschlags der Verordnung der EU COM(2022) 46 oder einer erheblichen Störung der Gasversorgung gemäß Artikel 11 (1) c) der Verordnung (EU) 2017/1938, geschaffen werden.
Als Ziel wird in Artikel 1 des Verordnungsentwurfs definiert, sicherzustellen, dass die „Union“ Zugang zu krisenrelevanten Produkten erhält. Im Grunde handelt es sich aber um eine Benutzungsanordnung, die der Europäischen Union den Zugriff auf Patente, Gebrauchsmuster und ergänzende Schutzzertifikate – auch nationale Rechte – gewährt, um sie der Verwertung durch Dritte (Artikel 10 des Verordnungsentwurfs) im öffentlichen Interesse der „Union“ zuzuführen. Schuldner eines „Entschädigungsanspruchs“ ist dabei der Dritte (Artikel 10 des Verordnungsentwurfs).
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Definition der auslösenden Bedingungen in Artikel 4
Die VERORDNUNG definiert in Artikel 4 die auslösenden Bedingungen, zu welchen ein Eingriff in das Ausschließungsrecht notwendig erscheint. Allerdings werden die auslösenden Bedingungen gemäß Artikel 4 der VERORDNUNG lediglich durch Verweis auf verschiedene im Anhang aufgelistete Verordnungen zur Definition einer Krisen- oder Notfallsituation zurückgegriffen, die selbst noch nicht in Kraft sind. Jedoch ist dabei der Begriff Krisen- oder Notfallsituation bedingt durch die verschiedenen technischen oder wirtschaftlichen Gebiete und deren unterschiedlichsten Störungen und Auswirkungen auf die Gesellschaft entsprechend unterschiedlich definiert und unterliegt zurzeit noch keinen klaren, festgelegten Regeln.
Die Verordnungen im Anhang betreffen beispielsweise das Halbleiter-Ökosystem, die Gewährleistung der sicheren Gasversorgung oder die Gewährleistung der Bereitstellung von krisenrelevanten medizinischen Gegenmaßnahmen im Falle einer gesundheitlichen Notlage auf Unionsebene, aber auch einer Einheitsmarkt-Notfallsituation.
Aus der Sicht des BDPA ist es vor dem obigen beschriebenen Hintergrund der Enteignungsbedingungen nicht hinnehmbar, dass keine einheitliche Mindestanforderung an eine unionsweite Krisen- oder Notfallsituation vorgegeben wird, die eine Zwangslizenz rechtfertigt.
Beispielsweise erfordert Artikel 18 (1) a) und b) der COM(2022) 46 final erhebliche Verzögerungen oder erhebliche nachteilige Auswirkungen in einem oder mehreren wichtigen Wirtschaftszweigen in der Union oder eine Verhinderung in der Bereitstellung, Reparatur und Wartung wesentlicher Produkte, die in kritischen Sektoren verwendet werden.
Ein wesentlicher unionsweiter Einfluss oder andere Mindestanforderungen an die Krise zur Gewährung einer Zwangslizenz sind somit durch den derzeitigen Vorschlag zu Artikel 4 der VERORDNUNG nicht vorgegeben.
Aufgrund des starken Eingriffs in das Ausschließungsrecht des Patentinhabers ist es zur Klarstellung und zur Verbesserung der Rechtssicherheit somit notwendig, allgemeine Mindestanforderungen an eine Krisen- oder Notfallsituation, die zur Gewährung einer Zwangslizenz berechtigt, in Artikel 4 der VERORDNUNG aufzunehmen.
Der BDPA empfiehlt hierzu, zumindest aufzunehmen, dass die Krisen- oder Notfallsituation eine wesentliche unionsweite Auswirkung aufweisen muss, um die national bestehenden Regelungen zu Zwangslizenzen bei einem quasi rein nationalen öffentlichen Interesse nicht zu unterlaufen. Ferner ist zusätzlich ein besonderes öffentliches unionsweites Interesse unerlässlich, um einen derartigen starken Eingriff in das Eigentum gegenüber Artikel 17 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union zu rechtfertigen.
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Antrag
Die VERORDNUNG an sich differenziert aus der Sicht des BDPA nicht ausreichend dahingehend, ob eine Einigung zwischen zwei Parteien herbeigeführt werden soll, vergleichbar zu einem Zwangslizenzverfahren nach §24 PatG, oder vielmehr die Europäische Union bemächtigt werden soll, vergleichbar zu einer Benutzungsanordnung gemäß § 13 PatG, das Ausschließungsrecht des Patentinhabers proaktiv aufzuheben.
Denn insbesondere Artikel 4 der VERORDNUNG lässt offen, ob es sich bei der VERORDNUNG um eine staatlich angeordnete Beschränkung der Wirkung des fraglichen Patents zwischen zwei sich streitenden Parteien handelt oder die Kommission im Falle eines Krisen- oder Notfallmodus eine „Lizenzbereitschaftserklärung“ für einen beliebigen Dritten durch diese VERORDNUNG im Sinne einer Benutzungsanordnung erzwingen kann.
Aus der Sicht des BDPA geht die erzwungene Lizenzbereitschaftserklärung über einen gerechtfertigten Eingriff in das Ausschließungsrecht eines Patentinhabers hinaus. Die Kommission ist aus der Sicht des BDPA nicht in der Position, in eine mögliche Lizenzanbahnung durch die Vorwegnahme des Lizenzgegenstands einzugreifen.
Das Verfahren, eine Zwangslizenz zu erteilen, kann somit aus der Sicht des BDPA nur durch den expliziten Antrag initiiert werden und unter der Voraussetzung, dass ein ernsthaftes Bemühen um eine Lizenz gescheitert ist, vergleichbar zu §24 (1) Nr.1 PatG.
Artikel 4 der VERORDNUNG ist aus der Sicht des BDPA entsprechend zu überarbeiten.
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Zuständigkeit der Kommission
Die Zuständigkeit für die Erteilung einer EU-weit wirksamen Zwangslizenz (Artikel 4) und das hierzu vorgesehene Verfahren (Artikel 7) soll gemäß der VERORDNUNG bei der Kommission liegen.
Das Verfahren zur Erteilung einer Zwangslizenz gemäß dem Verordnungsentwurf ist als solches losgelöst von einem gerichtlichen Verfahren anzusehen, in welchem der Patentinhaber sein Ausschließungsrecht einfordert oder der Beklagte in einem Verletzungsrecht ein Benutzungsrecht auf Grund öffentlichen Interesses einfordert. Dennoch ist anzuerkennen, dass das Instrument der Zwangslizenz dafür ausgerichtet ist, ein Ausschließungsrecht des Patentinhabers aufzubrechen; den Inhaber geistigen Eigentums quasi zu enteignen. Folglich ist nicht auszuschließen, dass das Verfahren über eine Zwangslizenz mit einem parallelen Verfahren zur Klärung des Ausschließungsrechts einhergeht. In Hinblick auf die Ziele des Vorschlags, ein effizientes Verfahren zu ermöglichen, ist es daher aus Sicht des BDPA unerlässlich, die fachliche Expertise auf dem Gebiet des Gewerblichen Rechtsschutzes und die Parteien selbst dem Verfahren zur Erteilung einer unionsweiten Zwangslizenz zur Gewährung des rechtlichen Gehörs verbindlich hinzuzuziehen.
Der BDPA spricht sich somit für die Einbeziehung des Amts der Europäischen Union für geistiges Eigentum (EUIPO) in das Verfahren zur Erteilung einer Zwangslizenz in einer ersten Instanz als „Advisory Body“ gemäß Artikel 6 aus. Ebenfalls müssen aus der Sicht des BDPA zumindest bei der Festlegung einer angemessenen Entschädigung gemäß Artikel 9 (1) der VERORDNUG die Parteien nach Artikel 7 (3) der VERORDNUNG von einem mit Lizenzvereinbarungen erfahrenen Gremium angehört werden, damit eine angemessene Entschädigung festgelegt werden kann. Denn entgegen einer reinen Benutzungsanordnung, bei welcher es lediglich auf die Verhandlung zwischen der Europäischen Union und dem Rechteinhaber ankommt, ist bei einem Zwangslizenzverfahren zwischen zwei sich streitenden Parteien eine angemessene Entschädigung zu ermitteln, wobei eine erfahrene und kompetente Verfahrensführung unerlässlich ist. Hierzu empfiehlt es sich aus Sicht des BDPA, zur Anhörung der Parteien auf das „Patent Mediation and Arbitration Centre (PMAC)“ zurückzugreifen, da diese eine Verfahrensordnung vorsieht und auf erfahrene Richter des Einheitlichen Patentgerichts (EPG) zurückgreifen kann.
Denn das PMAC ist gemäß Artikel 2 der Organisationsregeln des Mediations- und Schiedszentrums Bestandteil des EPG. Dennoch ist im Unterschied zum EPG besonders hervorzuheben, dass das PMAC gemäß Artikel 5 der Organisationsregeln des Mediations- und Schiedszentrums auch Aufgaben übernehmen kann, die nur teilweise in die Zuständigkeit des EPG fallen. Aufgrund der Nähe zu dem EPG und der Möglichkeit der Zuständigkeit für den EWR sowie der Erfahrung auf dem Gebiet von gerichtlichen Auseinandersetzungen, umfassend die Festlegung von angemessenen Lizenzgebühren, eignet sich aus der Sicht des BDPA das Schiedsverfahren des PMAC besonders.
In jedem Fall muss die Entscheidung der Kommission unter Einbeziehung des/der Schutzrechtsinhaber erfolgen und von diesen gerichtlich überprüfbar sein. Dies muss auch in der Verordnung entsprechend festgelegt werden, um die durch Völkergewohnheitsrecht vorgeschriebene Nichtdiskriminierung sicherzustellen; Artikel 7 ist entsprechend zu überarbeiten.
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Deckelung der maximalen Lizenzgebühr gemäß Artikel 9
Artikel 9 (2) der VERORDNUNG beschränkt die maximale Lizenzhöhe auf 4% der gesamten Bruttoeinnahmen. Aus der Sicht des BDPA ist eine derartige Beschränkung nicht gerechtfertigt. Eine Lizenzgebühr von unter 4% ist in vielen Gebieten nicht angemessen, zumal die Nutzungsberechtigten oft die unmittelbaren Wettbewerber sein werden. Gerade im Bereich der Pharmazie und Medizintechnik werden oftmals wesentlich höhere Lizenzgebühren vereinbart, welche durch die hohen Investitionskosten in die notwendige Forschung und Entwicklung bedingt sind.
Aus der Sicht des BDPA darf daher der Ermessensspielraum nicht von vornherein beschnitten werden, denn das könnte letztendlich Anreize für die Entwicklung risikobehafteter Investitionen in die Lösungen zur Bewältigung einer Krisen- oder Notfallsituation hemmen. Der BDPA spricht sich dafür aus, Artikel 9 (2) der VERORDNUNG zu streichen.
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Verpflichtung zu Treu und Glauben gemäß Artikel 13
Artikel 13 der VERORDNUNG regelt die Beziehungen zwischen dem Rechteinhaber und dem Lizenznehmer. Die derzeitige Formulierung von Artikel 13 der VERORDNUNG stellt darauf ab, dass das „Ziel der unionsweiten Zwangslizenz“ durch gemeinsames Handeln und Zusammenarbeiten nach besten Kräften erreicht werden soll. Hierzu verpflichtet Artikel 13 den Rechteinhaber und den Lizenznehmer zu einer Kooperation nach Treu und Glauben, um das Ziel der unionsweiten Zwangslizenz zu erreichen. Diese Formulierung ist extrem breit gefasst und lässt offen, welche Maßnahmen und Aktionen den Parteien obliegen.
Erwägungsgrund (32) geht sogar noch weiter: „In diesem Zusammenhang sollte die Kommission überdies befugt sein, zusätzliche Maßnahmen im Einklang mit dem Unionsrecht zu ergreifen, um dafür zu sorgen, dass das Ziel der Zwangslizenz erreicht wird und die benötigten krisenrelevanten Waren in der Union bereitgestellt werden können. Eine solche zusätzliche Maßnahme kann unter anderem darin bestehen, weitere Informationen anzufordern, die für das Erreichen des Ziels der Zwangslizenz als unerlässlich erachtet werden. Im Rahmen dieser Maßnahmen sollten stets angemessene Vorkehrungen getroffen werden, um den Schutz der legitimen Interessen aller Parteien zu gewährleisten.“
Eine Zwangslizenz als solches wird den Lizenznehmer nicht dazu befähigen, ohne Weiteres ein komplexes Verfahren zur Herstellung eines Produkts zu realisieren. Hierzu ist in vielen Fällen, gerade bei der Herstellung von pharmazeutischen Produkten oder Halbleiterprodukten weitergehendes Knowhow erforderlich, das sich in dem lizenzierten Schutzrecht nicht finden lässt. Somit besteht die Gefahr, dass diese Formulierungen den Rechteinhaber zwingen, dem Lizenznehmer auch Knowhow, also Geschäftsgeheimnisse offenzulegen.
Diese unklaren und weitgehenden Formulierungen in Artikel 13 und Erwägungsgrund (32) bergen die Gefahr, wonach der Rechteinhaber zur Offenlegung von Geschäftsgeheimnissen gezwungen werden könnte.
Dies geht jedoch weit über das reine Aufbrechen eines Ausschließungsrechts hinaus und enteignet in ungerechtfertigter Weise. Zudem ist hierfür keine weitergehende angemessene Entschädigung vorgesehen. Keinesfalls kann hier Artikel 9 Anwendung finden, der eine angemessene Entschädigung lediglich an den Schutzgegenstand bzw. Schutzbereich des fraglichen Schutzrechts bindet und weitergehendes Knowhow nicht berücksichtigt.
Artikel 13 der VERORDNUNG ist somit aus Sicht des BDPA nicht im Einklang mit dem Eigentumsrecht, das jeder Person gemäß Artikel 17 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union zusteht. Der BDPA schlägt die vollständige Streichung des Artikels 13 vor, solange darin keine hinreichend konkreten Regelungen für möglicherweise zu fordernde Verpflichtungen enthalten sind, die den Parteien auferlegt werden sollen.
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Verpflichtung zur Überprüfung
Artikel 14 sieht vor, dass die „Zwangslizenz“ bzw. Benutzungsanordnung auf begründeten Antrag des Schutzrechtsinhabers, des Lizenznehmers oder auch durch eigene Initiative überprüft wird. Eine obligatorische Überprüfung nach einem gewissen Zeitraum (etwa 1 Jahr) oder ein automatisches Ende der Zwangslizenz bei Wegfall der Notsituation ist aber nicht vorgesehen. Das wäre aus Sicht des BDPA noch zu ergänzen.
[1] Ann PatR, § 34. Benutzungsbefugnisse Dritter Rn. 99, beck-online
[2] Reinisch, in: Tiedje (Hrsg.), Internationales Wirtschaftsrecht, §8, Rnr. 59f.
[3] Reinisch, in: Tiedje (Hrsg.), Internationales Wirtschaftsrecht, §8, Rnr. 74.