Nachricht

Patent – Lizenz – Zwangslizenz. Patentrechtliche Aspekte zur Diskussion um Remdesivir

Die Europäische Kommission hat am Freitag für das Medikament Remdevisir eine bedingte Marktzulassung zur Behandlung von Covid-19 erlassen, auf Empfehlung der Europäischen Arzneimittelagentur (EMA) und mit Billigung durch die EU-Mitgliedsstaaten. Damit ist das erste Medikament zur unterstützenden Therapie eines schweren Corona-Verlaufs in der EU freigegeben. Nachdem jedoch bekannt wurde, dass sich die US-Regierung bei dem amerikanischen Pharmakonzern Gilead Science fast die gesamte Produktion bis Ende September gesichert hat, werden Befürchtungen laut, dass Remdevisir in Deutschland und den anderen EU-Staaten nicht in ausreichendem Maße zur Verfügung stehen wird. Denn Gilead besitzt die Patentrechte an dem Arzneimittel – und damit das alleinige Recht auf Herstellung und Vertrieb von Remdevisir.
Doch dieses Recht hat auch seine Grenzen. Das Patentgesetz schützt nämlich nicht nur den Patentinhaber, sondern auch den Patienten, indem es im Sinne des öffentlichen Interesses Möglichkeiten vorsieht, Medikamente anderweitig unter Lizenz herzustellen, notfalls auch ohne Einwilligung des Patentinhabers.

Das Patentrecht schützt den Zugang zu Therapiemöglichkeiten.

Im Rahmen des Patentgesetzes wäre der erste Schritt, wenn der Patentinhaber ein Medikament nicht selbst in ausreichendem Umfang herstellen kann oder will, es anderen Pharmaunternehmen unter Lizenz zur Produktion zur Verfügung zu stellen. Beispielsweise könnte sich ein deutscher Pharmakonzern bei Gilead um eine Lizenz für Remdevisir bemühen und dann das Arzneimittel in Deutschland produzieren und an den US-Konzern Lizenzgebühren zahlen. Das wäre das übliche Procedere.

Erst wenn die Bemühungen um eine Lizenz erfolglos sind, kommt ein Zwangslizenzverfahren zur Benutzung einer patentierten Erfindung, also in diesem Fall zur Herstellung des Medikaments in Betracht. In Deutschland wird dieses patentrechtliche Mittel jedoch sehr selten genutzt.

Patentrechtliche Voraussetzungen für eine Zwangslizenz

Zunächst muss die Bemühung um eine Lizenz zu angemessenen geschäftsüblichen Bedingungen innerhalb eines angemessenen Zeitraums erfolglos gewesen sein. Dann wird das öffentliche Interesse an der Erteilung einer Zwangslizenz geprüft. Denn unter bestimmten Umständen ist es geboten, die Belange der Allgemeinheit über die Rechte des Patentinhabers zu stellen. Dies ist etwa der Fall, wenn ein Arzneimittel zur Behandlung schwerer Erkrankungen therapeutische Eigenschaften besitzt, die andere auf dem Markt erhältliche Medikamente nicht oder nur eingeschränkt besitzen. Ein öffentliches Interesse kann laut Bundesgerichtshof sogar dann bestehen, wenn nur eine relativ kleine Gruppe von Patienten betroffen sei.

Besteht im öffentlichen Interesse eine besondere Dringlichkeit zur baldigen Erteilung einer Zwangslizenz, kann sogar per einstweiliger Verfügung gestattet werden, ein Arzneimittel durch das lizenzsuchende Pharmaunternehmen herstellen zu lassen. Eine Pandemie würde sicherlich eine solche Dringlichkeit rechtfertigen.

Patentgesetz plus Infektionsschutzgesetz

Die Chancen, dass Remdesivir auch in Europa zur Behandlung von Covid-19-Patienten zur Verfügung stehen wird, sind also gut. Zumal neben dem Patentgesetz auch das Infektionsschutzgesetz Möglichkeiten vorsieht, im Notfall dringend benötigte patentgeschützte Erfindungen zugänglich zu machen. Das Gesundheitsministerium kann in diesem Fall die Nutzung von Patenten anordnen.

Ob eine Zwangslizenz oder eine zeitlich begrenzte Anordnung gemäß Infektionsschutzgesetz überhaupt notwendig werden, ist sehr fraglich. Schließlich kann man davon ausgehen, dass der Pharmakonzern Gilead seinerseits Interesse am europäischen Markt hat. Zumal sie nicht nur Remdesivir herstellen. Und nach eigenen Angaben hat Gilead bereits mit mehreren Generika-Herstellern in Indien, Pakistan und Ägypten Lizenzverträge abgeschlossen, um das Arzneimittel auch in weniger wohlhabenden Ländern zu einem erschwinglichen Preis anbieten zu können.