Hätte ein deutscher Erfinder 1969 einen neuen und erfinderischen Temperaturregler in Deutschland, Frankreich, den Niederlanden und in der Türkei zum Patent anmelden wollen, hätte er zunächst eine deutschsprachige Patentanmeldung ausarbeiten lassen. Diese wäre in die französische, niederländische und türkische Sprache übersetzt worden. Nach der Anpassung an die jeweiligen Formalerfordernisse wären neben der deutschen Patentanmeldung eine französische, eine niederländische und eine türkische eingereicht worden. Für sämtliche Patentanmeldungen wären separat Recherchen und Prüfungsverfahren durchgeführt worden, also vier parallele Recherchen, vier parallele Prüfungsverfahren und gegebenenfalls vier parallele Einspruchsverfahren.
Knapp zehn Jahre später…
Im Jahr 1978 öffnete das Europäische Patentamt (EPA) seine Pforten. Mit dem existierenden europäischen Patent ist es seitdem möglich, mit nur einer europäischen Patentanmeldung, für welche nur eine Recherche und ein Prüfungsverfahren durchgeführt werden, ein europäisches Patent erteilt zu bekommen. Gegebenenfalls schließt sich noch ein zentrales Einspruchsverfahren an. Nach der Patenterteilung bzw. dem Einspruchsverfahren endet jedoch die internationale Zuständigkeit des Europäischen Patentamts.
Da das europäische Patent stets nur in einer der drei Verfahrenssprachen des EPA, nämlich Deutsch, Englisch oder Französisch vorliegt, konnten alle Mitgliedsstaaten nach der Erteilung zunächst eine Übersetzung in eine nationale Amtssprache verlangen, damit das europäische Patent im jeweiligen Mitgliedsstaat seine Gültigkeit entfaltet. Patentanwälte sprechen in diesem Zusammenhang von der „Validierung“ des europäischen Patents. In Abhängigkeit von der Anzahl der benannten Vertragsstaaten und der Anzahl der anzufertigenden Übersetzungen kann diese Validierung sehr kostspielig werden.
Das „Londoner Protokoll“
Zur Eindämmung der entsprechenden Kosten existiert seit 1999 das sogenannte „Londoner Protokoll“. In dem diesem Protokoll zugrunde liegenden Abkommen haben Deutschland, Frankreich und Großbritannien generell auf Übersetzungen verzichtet, weil diese Mitgliedstaaten ja bereits dadurch privilegiert sind, dass ihre Landessprache zugleich Verfahrenssprache vor dem EPA ist. Eine weitere Gruppe von Staaten hat das Übersetzungserfordernis dahingehend reduziert, dass nur die Patentansprüche in der jeweiligen Landessprache vorliegen müssen und es ausreicht, wenn die übrigen Unterlagen in englischer Sprache vorhanden sind. Natürlich gibt es auch Staaten, welche die Validierung weiterhin an die Einreichung einer vollständigen Übersetzung knüpfen.
Europa gebündelt.
Der jeweilige Länderanteil eines europäischen Patents wird nach der Validierung einem nationalen Patent in dem jeweiligen Mitgliedsstaat gleichgestellt. Es zerfällt also nach seiner Erteilung gleichsam in ein Bündel nationaler „Teilpatente“, weshalb das existierende europäische Patent auch als „Bündelpatent“ bezeichnet wird.
Wird das europäische Patent in mehreren Mitgliedstaaten verletzt, muss in jedem Land aus dem entsprechenden „Teilpatent“ vor einem zuständigen Gericht und nach den gesetzlichen Regeln dieses Mitgliedstaates geklagt werden. Da deutsche Patentstreitgerichte sehr schnell und kompetent zu vergleichsweise moderaten Gerichts- und Anwaltskosten urteilen, wird häufig ein „Pilotverfahren“ in Deutschland geführt, dessen Ergebnis die Parteien dann europaweit akzeptieren. Ein weiterer Vorteil des deutschen Verfahrens besteht im sogenannten „Trennungsprinzip“. Über die Frage der Patentverletzung urteilen Spezialkammern und -senate für Patentstreitsachen der Land- und Oberlandesgerichte mit drei Juristen als Richtern. Über den Rechtsbestand des Klagepatents, also die Frage, ob das Klagepatent zu Recht erteilt worden ist, urteilen fünf Richter eines „Nichtigkeitssenats“ am Bundespatentgericht mit Sitz in München. Die Besonderheit dieser Nichtigkeitssenate besteht in einer gemischt besetzten Richterbank. Der Vorsitzende und ein Beisitzer sind Juristen. Die drei übrigen Beisitzer sind Ingenieure oder Naturwissenschaftler aus dem technischen Gebiet des Klagepatents. Zur Sicherung der einheitlichen Rechtsprechung in beiden Verfahren enden das Verletzungsverfahren in der Revision und das Nichtigkeitsverfahren in der Berufung beim X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs, wobei die Berufungsinstanz im Nichtigkeitsverfahren vor dem Bundesgerichtshof ausnahmsweise als Tatsacheninstanz ausgestaltet ist.
Nicht alle begrüßen das Einheitspatent.
Das europäische Einheitspatent (Unitary Patent) geht den Weg des einheitlichen Patents für die EU zu Ende. In unserem Beispiel würde ein Einheitspatent den angestrebten Schutz in Deutschland, Frankreich und den Niederlanden umfassen. Für die Türkei bliebe es hingegen beim türkischen Anteil des Bündelpatents.
Würden sich sämtliche EU-Mitgliedsstaaten der Verordnung über das Einheitspatent (EPV) anschließen, würde das Europäische Patentamt künftig ein europäisches Patent mit maximal folgenden Länderanteilen erteilen: EU mit ihren 28 Mitgliedsstaaten, Albanien, Island, Mazedonien, Norwegen, San Marino, Schweiz und Lichtenstein, Serbien sowie die Türkei. Darüber hinaus wäre eine Erstreckung des europäischen Patents auf Montenegro sowie Bosnien-Herzegowina über ein bereits existierendes Erstreckungsabkommen möglich. Aber nicht alle EU-Mitgliedsstaaten sind am Zustandekommen des EU-Einheitspatents interessiert.
Bislang haben nur 24 Mitgliedsstaaten auf dem Wege der „verstärkten Zusammenarbeit“ gemäß Art. 20 EU-Vertrag in der Fassung von Amsterdam am Vertragswerk zur Schaffung des EU-Einheitspatents mitgewirkt. Es besteht aus folgenden Bestandteilen:
- Verordnung über das Einheitspatent – EPV
- Verordnung über Übersetzungsregelungen zum Einheitspatent – EPVÜ
- Übereinkommen über ein einheitliches Patentgericht – EPGÜ
Folgende EU-Staaten sind nicht oder nicht vollständig beteiligt: Polen hat zwar mitgewirkt, aber das Vertragswerk nicht unterzeichnet. Italien hat am Vertragswerk nicht mitgewirkt, jedoch unterzeichnet. Spanien hat weder mitgewirkt noch unterzeichnet. Kroatien ist erst nach der Unterzeichnung der EU beigetreten und hat sich zur Mitwirkung und zur Unterzeichnung bislang nicht geäußert. Nach dem Austritt aus der Europäischen Union hat sich Großbritannien von Einheitspatent und Einheitlichem Patentgericht zurückgezogen.
Das Einheitliche Patentgericht für Europa.
Obwohl es sich sowohl bei der EU-Gemeinschaftsmarke als auch beim EU-Gemeinschaftsgeschmacksmuster bewährt hat, die Mitgliedsstaaten für ihr Gebiet eine möglichst geringe Anzahl nationaler Gerichte erster und zweiter Instanz als Gemeinschaftsmarken- bzw. Gemeinschaftsgeschmacksmustergerichte benennen zu lassen, welche die durch die entsprechenden Verordnungen zugewiesenen Aufgaben wahrnehmen, hat man sich beim EU-Einheitspatent zur Schaffung eines separaten Gerichtssystems entschlossen. Dieses Gerichtssystem besteht in erster Instanz aus nebeneinander agierenden Lokalkammern und Regionalkammern sowie einer Zentralkammer mit einer komplexen Regelung der jeweiligen Zuständigkeiten. Die Zentralkammer hat ihren Sitz in Paris mit Außenstellen in London und München. Den erwähnten Kammern übergeordnet ist als zweite Instanz ein zentrales Berufungsgericht mit Sitz in Luxemburg. Über allem thront der Europäische Gerichtshof (EUGH) als Revisionsinstanz.
Die EPV und die EPVÜ stehen bereits in Kraft. Allerdings entfalten beide Verordnungen erst ihre Wirkung, wenn das EPGÜ in Kraft gesetzt ist. Das EPGÜ tritt entweder vier Monate nach der Ratifikation durch Deutschland, Frankreich, Italien und zehn weitere EU-Mitgliedsstaaten oder vier Monate nach Inkrafttreten der Änderungen zur Brüssel I-Verordnung in Anpassung an das EPGÜ in Kraft.
Wichtig für Inhaber europäischer Patente:
Die Regelungen zum EU-Einheitspatent entfalten auch für bereits existierende europäische Patente rückwirkende Gültigkeit. Allerdings besteht die Möglichkeit, gegenüber der Kanzlei des Einheitlichen Patentgerichts (EPG) eine Erklärung dahingehend abzugeben, dass der Patentinhaber die bislang existierenden Regelungen zum Bündelpatent für seine existierenden europäischen Patente beibehalten möchte, das sogenannte „opt-out“. Diese Möglichkeit soll mindestens sieben und längstens vierzehn Jahre nach Inkrafttreten des EPGÜ beibehalten werden. Nach dem Inkrafttreten des EPGÜ und dem Wirksamwerden der EPV und der EPVÜ sollten deshalb gerade mittelständische Unternehmen das Gespräch mit ihrem Patentanwalt suchen, um möglichst schnell zu klären, ob sie die Möglichkeit des opt-out nutzen sollten. Dies ist nämlich nur solange möglich, wie das Europäische Patent nicht Gegenstand eines Klageverfahrens vor einem der vorerwähnten Gerichte ist.
Dietrich Tergau, Patentanwalt aus Nürnberg, BDPA Vorstandsmitglied und ehemaliger Präsident des Bundesverbands Deutscher Patentanwälte